Flächenverbrauch

Ungehemmter Flächenfraß versperrt den Weg für eine nachhaltige kommunale Entwicklung

Der tägliche Flächenverbrauch in allen Bundesländern – auch in NRW – entspricht bis heute nicht den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung.

Bundes- und landesweit werden jeden Tag weit über das Zulässige hinaus fruchtbare Böden in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt.

In Nordrhein-Westfalen, dem Flächenland mit der höchsten Bevölkerungsdichte in Deutschland, überdeckt die Siedlungs- und Verkehrsfläche im Jahr 2016 mit 23,1 Prozent mehr als ein Fünftel oder fast ein Viertel der gesamten Landesfläche. Das ist der höchste Wert aller Bundesländer, wenn man die Stadtstaaten Bremen und Hamburg nicht berücksichtigt.

In den letzten zurückliegenden Jahren wurden täglich durchschnittlich etwa 10 Hektar unverbaute Fläche mit Straßen oder Siedlungsflächen versiegelt. Das Ziel der Landesregierung war einmal, den täglichen Flächenverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 5 Hektar zu begrenzen. Das würde der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, an der NRW in der Bund-Ländergemeinschaft maßgeblich mitgewirkt hat, entsprechen.

Tatsächlich ist die Entwicklung jedoch eine völlige andere:
Die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Nordrhein-Westfalen hat von 1996 bis 2016 um
1.256 km² (125.600 ha) abgenommen.
Umgerechnet bedeutet dies für die Landwirtschaft in NRW einen täglichen Verlust von 17,2 Hektar fruchtbarer Acker- und Weidefläche, die in Bausiedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt wurden.

Der Trend hält nach wie vor an, insbesondere weil auch die aktuelle Landesregierung mit dem Entfesselungspaket II den 5ha-Grundsatz im Landesentwicklungsplan gestrichen hat und somit quasi ein Freifahrtschein für Flächenversiegelung ausgegeben hat.

Flächenfrass in NRW
Flächenfrass in NRW

Herausforderung für Kommunen
Die Kommunen sind gefordert, Strategien und Maßnahmen zu ergreifen, um das komplexe Problem Flächenverbrauch zu lösen. Es gibt zahlreiche Instrumente und Initiativen, Fortbildungsangebote und Forschungsvorhaben, um eine nachhaltige Flächenpolitik zu verwirklichen. Die Stadt Solingen könnte ihre Anstrengungen zur Umsetzung der Agenda 21 auf diesem Wege beispielhaft für andere Gemeinden und zum Nutzen aller Bürger erweitern.
Eine nachhaltige Flächenpolitik hat für die Kommunen, aber auch für die Bevölkerung, entscheidende Vorteile:

  • Schutz von Natur und Landschaft à Erhalt des Grüngürtels rund um die Stadt
  • Stärkung gewachsener Zentren à Förderung der Innenentwicklung
  • Erhöhung der Lebensqualität für die Bevölkerung à Attraktivierung der Innenstadt
  • effiziente Ausnutzung bestehender Infrastrukturen à (Wieder-)Nutzung von Brachen
  • Kosteneinsparung für Infrastrukturen à Nutzung bestehender Infrastruktur
  • Vermeidung von Verkehrsbelastung à kurze Wege durch Innenentwicklung
  • Werterhalt von Immobilien à Wiederbelebung vorhandener Innenstadtbebauung

Leider sind die ökologischen und ökonomischen Folgen des Verlustes an Freiflächen nur schwer, meist allenfalls durch Vergleichsrechnungen zu bewerten.

Unbestritten ist, dass

  • die vielfältige Zerschneidung von Landschaften durch Verkehrsinfrastruktur,
  • der Verlust von wertvollen Anbauflächen für die Erzeugung von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen,
  • der Verlust oder die erhebliche Einschränkung und Verschlechterung der Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten,
  • die Zerstörung wichtiger Landschaftsbilder einer Region und
  • die klimaökologischen Folgen durch Verbauungen zum Beispiel behinderte oder unterbundene Kaltluftflüsse

dramatische ökologische Konsequenzen haben:
Kommunen und deren Bürger wird es in Euro ausgedrückt teuer zu stehen kommen.

Boden ist nicht vermehrbar

Boden ist ein hohes Schutzgut, aber einmal für Siedlung oder Verkehr versiegelt, ist er unumkehrbar verloren. Ihn zu erhalten, bedeutet zugleich, seine natürlichen Filter-, Puffer- und Lebensraumfunktionen zu sichern. Damit werden nachteilige Auswirkungen auf das Grundwasser, die Pflanzen, die Luft, das Klima und den Boden selbst verhindert. Versiegelte Flächen können diese natürlichen Bodenfunktionen nicht leisten. Im Gegenteil, versiegelte Flächen sind Ursache für viele Schadwirkungen von Schadstoffausträgen über Geräuschemissionen bis zu den zerstörerischen Kräften des Wassers nach Starkregenereignissen.

Die überkommene Formel

Die Ansicht, die Bebauung von Flächen mit Wohn- und Gewerbesiedlungen und zu gehöriger Verkehrsanbindung als Ausdruck eines prosperierenden Wachstums von Gemeinden anzusehen, befindet sich erfreulicherweise im Wandel, geistert aber nach wie vor noch in vielen Köpfen rum.

Auch heute noch wird von vielen Verantwortlichen in den Gemeinden an die Formel:
„mehr Siedlungsfläche für Industrie und Gewerbe = mehr wirtschaftliche Ergebnisse = mehr Arbeitsplätze = mehr Einkommen und Gewerbesteuer für die Gemeinden“ geglaubt.

Das sind Meinungen von gestern, die viele Gemeinden in den Ruin getrieben, ihnen die Finanzhoheit gekostet dafür aber den Zwang beschert haben, Aufsichtsbehörden unterworfen zu sein. Die großen flächenverbrauchenden Industrien schaffen kaum Arbeitsplätze, weil Automatisierung die Arbeit erledigt. Und ob Steuern in der Gemeinde bleiben, nachdem Subventionen zur Ansiedlung ausgelaufen sind und die Firmen weiterziehen, ist auch fraglich.

Neues qualitatives Wachstum

Zukunftsfähiges Wachstum wird nur möglich sein, wenn die Kommunen den zunehmend komplexer werdenden Planungserfordernissen gerecht werden.

Kernthemen sind

  • reduzierte Inanspruchnahme von Flächen
    Nutzung von Potenzialen innerhalb der vorhandenen Siedlungsflächen.
    Nutzung von Baulücken, Nachverdichtung und Nachnutzung von Altstandorten sowie die Konzentration von Infrastrukturen, reduzierte Inanspruchnahme von neuen Flächen. Sanierung und Neubau von Wohnraum in Bestandsgebieten verbessern die Auslastung vorhandener sozialer und technischer Infrastrukturen.
  • konsequente Prüfung der verfügbaren Ressourcen und Verbesserung ihrer effizienten Nutzung
    Auf der Grundlage fundierten Strategien zur Begrenzung des Flächenverbrauches und damit auch zur Kontrolle der Kosten kommunaler Infrastruktur lassen sich die begrenzten Flächenressourcen in den Kommunen stärker zielgerichtet identifizieren und einsetzen. So lässt sich eine positive Stadt- und Wirtschaftsentwicklung vom Freiflächenverbrauch entkoppeln. Handlungsoptionen auf der Grundlage qualitativer Bewertungen werden dadurch erleichtert.
  • Klimaschutz und Anpassung an Veränderungen des Klimas
    Der Klimawandel nimmt massiv Einfluss auf die Grundlagen und Leitlinien der Raumordnung und Bauplanung der Kommunen. Zum einen ist die Kalt- und Frischluftentstehung und die Durchlüftung der Siedlungsgebiete zu gewährleisten. Zum anderen nehmen die zerstörerischen Wirkungen großer Wassermassen nach Starkregenereignissen besorgniserregend zu. Versickerungskapazitäten und Ableitung von Niederschlagswasser haben erhebliche Bedeutung und müssen zwingend in die Planungen einbezogen werden. Jede nicht versiegelte Fläche vermindert die Gefahren.
  • Beachtung des demographischen Wandels
    Der Anteil älterer Menschen nimmt stark zu. Das hat Folgen für die Wahl des Wohnstandortes. Gesichtspunkte wie Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten, die Anbindung an den öffentlichen Personenverkehr, Zugang zu kulturellen und sozialen Angeboten und Gesundheitsdiensten gewinnen an stark Bedeutung.
    Der demografische Wandel wird für die Stadtentwicklung äußerst wichtig. Aufgabe der Gemeinden wird es sein, die Attraktivität der Standorte zu sichern oder zu verbessern, neue Qualitäten zu entwickeln. Innerstädtische Freiraumstrukturen und angrenzend an die Siedlungsgebiete landschaftliche Freiräume mit ihrer Bedeutung für Freizeit und Erholung sowie für Stadtklima und Lufthygiene gehören dazu.
  • Nebeneinander von Wachstum und Schrumpfung
    Für viele Kommunen werden auf mittlere und längere Sicht schwindende Bevölkerungszahlen vorausgesagt. Das gilt auch in Teilen für Solingen. Zwangsläufig wirkt sich das auf die Raumplanung innerhalb der Kommunen und deren Umfeld wegen der Nachfrage nach Siedlungsflächen aus. Aber selbst wachsende Gemeinden verzeichnen innerhalb ihrer Gebiete Quartiere, die wachsen und andere, die zur gleichen Zeit schrumpfen. Diese können dann genutzt werden, um die unweigerlich wachsenden Kosten, die bei der Zunahme der Siedlungsflächen entstehen, abzufedern. Höhere Kosten bei wachsenden Strukturen ergeben sich wegen der zusätzlichen Aufwendungen für soziale und technische Infrastrukturen, Sie nehmen nicht nur in der Summe, sondern auch als spezifische Kosten pro Einwohner zu.

Die Konsequenz heißt nachhaltiges kommunales Flächenmanagement

Die Kommunen mit dem gesetzlich verankerten Recht der Planungshoheit sind gehalten, die Flächenziele der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie anzustreben und zu verwirklichen. Dazu sind nachhaltige Flächennutzungssysteme zwingen erforderlich. Komplexe Zusammenhänge erfordern jedoch eine fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit, an der neben der Raum- und Bauplanung u.a. die maßgeblichen Schutzbereiche Boden, Wasser, Luft sowie soziologischer und sozioökonomischer Sachverstand gestaltend und mitbestimmend zu beteiligen sind.

In NRW wurden inzwischen nachhaltige Flächenmanagementsysteme entwickelt, die sich als geeignet für die Entwicklung von Grundlagen und Strategien für eine erfolgreiche nachhaltige Stadtentwicklung erwiesen haben.

Das Nachhaltige Flächenmanagement kann sich dabei nicht allein auf die kommunalen Grenzen beschränken, sondern muss, kommunal-regional Strukturen beachten. Nachhaltigkeit überschreitet die kommunalen Grenzen.

Nur so sind Handlungsprogramme zu entwickeln,

  • die klare Ziele vorgeben,
  • in konkreten Maßnahmen münden,
  • der sparsamen Ressourcennutzung entsprechen,
  • die Kosten kommunaler Infrastrukturen erfassen und begrenzen,
  • den kommunalen Flächenverbrauch im Sinne von qualitativem statt quantitativem Wachstum begrenzen.

Helmut Nieder 01.11.18